Ein großer Sohn Johannisbergs, der
kaum bekannt ist und demzufolge in seinem Heimatort leider niemals
gebührend gewürdigt wurde, ist der Lithograph, Trachten- und
Brauchtumsforschers Friedrich Hottenroth. Sein Leben und sein Werk sind
es jedoch sehr wohl wert, ihn, der gleichzeitig auch Maler und
Schriftsteller war, stets als eine bleibende Erinnerung in den Herzen
der Rheingauer zu bewahren.
Als älterer Bruder des letzten
ehrenamtlichen Bürgermeisters von Johannisberg, Valentin Hottenroth,
erblickte Friedrich am 6. Februar 1840 in Johannisberg als dritter von
vier Söhnen und einer Tochter des Johann Josef Hottenroth und dessen
Frau Susanna geb. Gehring, das Licht der Welt. Die Großmutter war
übrigens eine Schwester des bedeutenden Publizisten Johannes Weitzel.
Schon als Kind soll er ein bedeutendes
Maltalent gezeigt haben, was offensichtlich in seiner Familie häufig
war. So soll er schon als kleiner Junge Johannisberger Bürger so
lebensnah gezeichnet haben, dass man sie unschwer erkennen konnte. Um
diese Talente zu fördern erhielt er von "Godefroy de Mumm", dem
damaligen Besitzer des Mumm'schen Weingutes, ein Stipendium für den
Besuch eines Gymnasiums (verm. in Montabaur). Ob und welche Studien er
danach betrieben hat ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde er als ein
"vorzüglicher Lithograph" gerühmt und war wohl als Autodidakt, sein
eigener Lehrmeister.
In den Jahren von 1873 bis 1877 lieferte
Friedrich Hottenroth die Illustrationen zu dem Buch "Illustrierte
Geschichte des deutschen Volkes" von Wilhelm Zimmermann. Dann gab er
auch eigene Bücher heraus. Zunächst arbeitete er in den Jahren 1879 bis
1891 an seinem Buch über Trachten und Gerätschaften der Völker.
Dazu zog er von Frankfurt am Main von Anfang bis Mitte der 1890er Jahre
nach Stuttgart und später wieder zurück nach Frankfurt. Weitere
Stationen seines Arbeitslebens waren u. a. Herborn u. Hamburg.
An Feiertagen und zu Familienfesten war
er jedoch - so oft es ihm möglich war - daheim in Johannisberg.
Durch seine brillanten Zeichnungen und
die ansprechende Aufmachung seiner Bücher wurde er zu seiner Zeit hoch
geschätzt.
Es folgten 1898-1902 drei Bände über
deutsche Volkstrachten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert.
Von 1901 bis 1906 lebte Friedrich
Hottenroth - sehr zur Freude seines Neffen - und um sich "einige
Erholung" zu gönnen, wieder in Johannisberg. Zunächst bei seinem Bruder
Carl und ab November 1903 bei seinem jüngsten Bruder, dem einstigen
Klavierfabrikanten und damaligen Johannisberger Bürgermeister, Valentin.
Von hier aus unternahm Friedrich mit dessen Sohn Valentin große
gemeinsame Fußtouren, auf denen der Künstler immer wieder sein
Skizzenbuch mit neuen Motiven füllte. Ende des Jahres 1902 wurde ihm,
vom Verein für nassauische
Alterskunde und Geschichtsforschung,
die Arbeit an dem Buch "Nassauische Volkstrachten" definitiv übertragen
und er hätte sie sogleich in Angriff nehmen können, wenn nicht
unglücklicherweise gerade zu dieser Zeit eine Augenerkrankung ihm jede
weitere Arbeit unmöglich gemacht hatte. So jedoch musste er sich in
Wiesbaden einer Augenoperation unterziehen. Erst im Februar 1903 konnte
er mit der neuen Arbeit beginnen. Es dauerte 2 Jahre bis sein Buch
erschien. Für seine Arbeiten zu den Trachtenstudien besuchte er nicht
nur Bibliotheken und Museen, sondern auch die Gegenden, in denen
Volkstrachten noch getragen wurden oder wo er noch Reste davon in den
Schränken und Truhen der Nachkommen aufstöbern konnte. Dazu unternahm er
auch mehrwöchentliche Fußwanderungen, die in u. a. von Johannisberg über
die Lahn zum Westerwald bis in das südliche Westfalen (Sauerland)
führte.
Ein ausgezeichneter Kunstkenner seiner
Zeit, Prof. Dr. Julius Hülsen, Frankfurt a. M. schrieb über den
Johannisberger Künstler in einem Artikel der Frankfurter Zeitung (Nr.
354 vom 22.12.1911) : „Es ist nun ein glücklicher Umstand, dass bei
Hottenroth....... der Autor des Textes auch zugleich sein eigener
Illustrator ist. Hottenroths Zeichentechnik weist für diesen Zweck alle
Vorzüge des behutsam und in reinlicher Manier arbeitenden Lithographen
älteren Stiles auf. Der jetzt über Siebzigjährige ist im figürlichen
Zeichnen, das er meisterhaft, ein wenig an die Art eines Schnorr von
Carolsfeld anklingend beherrscht, sein eigner Lehrer gewesen.....und es
ist erstaunlich, wie vortrefflich er seine Kostümfiguren belebt und sie
so natürlich gestaltet, dass wir beim Durchblättern der Tafeln keine
leblosen Schemata sondern künstlerisch abgerundete, lebenswahre
Genreszenen vor uns haben."
Im Alter von 72 Jahren veröffentlichte
Friedrich Hottenroth dann 1912 noch ein weiteres Buch über die
Geschichte der "Altfrankfurter Trachten".
Die meisten Informationen über das Leben
des Künstlers haben wir den Aufzeichnungen seines Neffen Dr. Valentin
Hottenroth, dem Sohn des Bürgermeisters, zu verdanken. Er
veröffentlichte in Familienchroniken 1923 und 1935 die Erinnerungen an
seinen Onkel "Fritz", wie Friedrich in der Familie genannt wurde.
"Recht charakteristisch war Ausmarsch
und Heimkehr bei dieser Forschungsreise: Die Ledertasche umgehängt, den
Schirm unterm Arm verlies der Forscher Onkel Karls Haus durch Hintertüre
und Garten mit flüchtigem Gruß, als handele es sich nur um einen kurzen
Spaziergang. Als Bruder und Schwester ihm nachgingen, um ihm Lebewohl
zusagen und Gute Reise zu wünschen, sagte er: „Man meint, ich ginge nach
Amerika“. Und ebenso kam er eines Tages wieder durch Garten und
Hinterpforte herein, wie von einem kleinen Spaziergang. Aber fast an
jedem Tag seiner Abwesenheit traf eine Postkarte ein, und diese
Postkartensammlung stellt im Zusammenhang gewissermaßen als Tagebuch den
gesamten Verlauf der Reise und ihre Ergebnisse dar."
Weiterhin erfahren wir dort, wie er
als Kind mit eigenen Augen beobachtet habe, das sein Onkel "seine
Gestalten", ohne vorher eine Skizze oder Zeichnung angefertigt zu haben,
aus dem Kopf mit der Stahlnadel in den Stein eingrub. Er beschreibt auch
die Persönlichkeit des Onkels und den ungeheuren Arbeitseifer, mit dem
er allen Spuren typischen Volkstums nachging, um sie in allen
Einzelheiten in seinem Skizzenbuch festzuhalten.
"Wie er in allen seinen Werken den Fäden
des Rein-Historischen nachgeht, wie er unter die Oberfläche schaut und
die inneren Zusammenhänge herausschält, das verrät neben dem Maler den
echten Historiker." |